Reinhard Scholtz

Madagaskar
Klaus und Reinhard im Land, wo der Pfeffer wächst

Tagebuchaufzeichnungen einer Madagaskarreise

vom 31.03.-23.04.1990

Antananarivo (Reuter) In Madagaskar sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums acht Menschen an der Pest gestorben. Hunderte andere seien wegen Ansteckungsverdachts ärztlicher Aufsicht unterstellt worden, teilte das Ministerium mit. Die Seuche sei in 15 Gebieten, darunter 2 Vororten der Hauptstadt, registriert worden. Das Ministerium habe Maßnahmen veranlaßt, um des Ausbruchs der Krankheit Herr zu werden, die schwerer als in früheren Jahren verlaufe. In dem Communiqué des Ministeriums wurde die Bevölkerung aufgerufen, die Hygienevorschriften strikt zu beachten. (Süddeutsche Zeitung vom 15.Februar 1990)

 

 

Samstag, den 31.März 1990 (Reisebeginn)

 

Planänderung: Freitag nacht um halb zwölf erfahre ich, daß wir bereits um 15.15 Uhr statt, wie geplant, um17.15 Uhr von Frankfurt losfliegen. Wie üblich bin ich spät dran mit meinen Reisevorbereitungen. Zeit also, den Rucksack zu packen, alle häuslichen Pflichten, die Conni mir noch nicht abgenommen hat, zu erledigen, die kurzfristig abgeschlossene Lebensversicherung abzuheften und das Schreckgespenst "Pest" aus meinem Bewußtsein zu streichen...

 Mit leichter Verspätung stoßen wir an der Raststätte "Siegerland" auf Klaus, der althergebrachte Sitten genau wie wir zu schätzen weiß und der demzufolge das akademische (Verspätungs-)Viertel gleichfalls eingehalten hat. Doch nun nichts wie ab nach Frankfurt, wo uns Angelika bereits mit Kaffee und Kuchen erwartet.

 Wie es sich für zwei gestandene Globetrotter gehört, klappt alles wie am Schnürchen: eineinhalb Stunden vor dem Abflug nach Zürich betreten wir das Flughafen-Labyrinth und sitzen schon kurz darauf in einer Maschine der Suiss Air. Flug bei Sonnenschein, mit Fensterplatz: Heidelberg, der Rhein, die Alpen, Zürich, alles in 35 Minuten.

Dort dürfen wir uns in einer mehrstündigen Einstimmungsphase auf unseren Anschlußflug mit der Air Madagascar freuen, der schließlich gegen halb zehn aufgerufen wird. Endlich an Bord des Fliegers! Hier erwartet uns ein Superservice mit hübschen Stewardessen, Mengen an Fressalien, Alkoholika und Plastikmüll - tout compris!

 

 Sonntag, den 1. April (Zürich-Nairobi-Tana)

 Meine Befürchtungen haben sich bestätigt: Während Klaus in seinem Pullmannsessel seelig vor sich hinschnarcht, habe ich die ganze Nacht kein Auge zugemacht - alles wie gehabt. Nach durchdöster Nacht Ankunft in Nairobi/Kenia gegen halb sechs Ortszeit (+ 1 Std. MEZ).

 Außer uns, noch ein paar anderen Rucksacktramps und einer kleineren Schar von Linienpassagieren befindet sich noch eine Gruppe von Touristen an Bord, die sich zwischenzeitlich als Reisegruppe der (elitären) Extraklasse zu erkennen gegeben hat. Reiseveranstalter ist Marco Polo, der für den 16-tägigen Inseltrip satte 8000 DM einkassiert, Vollpension noch nicht einmal eingeschlossen! Ne, da kommt uns unsere "handgestrickte" Individualtour um etliche Tausender billiger.

Der smarte Marco-Polo-Führer erzählt uns während unseres Zwischenaufenthaltes in Nairobi Geschichten von brutalen Angriffen auf Touristen in Madagaskar, die uns schier die Haare zu Berge stehen lassen. Doch Irremachenlassen und Panik sind bei Klaus und mir nicht angesagt.

Vom Kilimandjaro sehen wir während des Weiterflugs leider nichts, da wir in diesem gigantischen Großraumflugzeug nur Plätze im Mittelgang zugewiesen bekommen haben.

 Landung in Antananarivo, kurz Tana, der Hauptstadt Madagaskars. strahlender Sonnenschein, angenehme Temperaturen und unendlich lange Paß- und Devisenkontrollen erwarten uns bei der Ankunft.

Dann noch schnell ein Traveller-Scheck eingelöst, und endlich, nach insgesamt knapp 24-stündiger Reise, sind wir am Ziel unserer Wünsche: Madagaskar!!

 

 Dazu ein paar Kurzinformationen

 Madagaskar ist die viertgrößte Insel der Welt mit 590 000 qkm, Lage: vor der Südostküste Afrikas, ca. 11,5 Mio. Einwohner, davon je etwa die Hälfte malaiischer und negroider Abstammung; Landessprache ist aufgrund der frühereren Kolonisierung Französisch. Die zu den Randtropen zählende Insel wird von einem zentralen Hochland durchzogen, dem eine schmale Küstenebene mit tropischem Regenwald im Osten und ein breites Stufenland im Westen vorgelagert sind; Hauptexportartikel sind Kaffee, Vanille und Pfeffer.

 Noch Fragen? Keine Bange - William hat auf alles eine Antwort. Wer William ist? William ist ein unscheinbarer junger Mann, der sich innerhalb kürzester Zeit als nützliches Faktotum entpuppt. Auskunftsfreudig und anscheinend zu jeder "Schandtat" bereit.

Bei der Hotelsuche wird William, der im Bus tapfer auf unser Gepäck aufgepaßt hat, wieder aktiv. Schon beim zweiten Anlauf werden wir fündig, und zwar im billigsten Hotel Tanas, wo wir fürs Doppelzimmer nur ca. 11DM berappen müssen.

Im angrenzenden Restaurant lassen wir uns dann zu einem Spottpreis und dafür mit umso größerem Appetit das madegassische Nationalgericht mit einem unaussprechlichen Namen munden. Daß Madagaskar relativ gesehen der größte Reiskonsument der Welt ist, belegen die unserem Essen beiliegenden Reisberge ungeahnter Dimensionen!

 William hat sich erst einmal abgemeldet, und so folgt, was zum Kennenlernen einer Stadt immer an erster Stelle steht, nämlich eine Stadterkundung per Pedes.

Die ersten Eindrücke: Tana liegt ziemlich verschachtelt auf mehreren Hügeln; ein geplantes, einheitliches Stadtbild ist kaum erkennbar, von der Architektur gar nicht zu reden. Augenfällig dafür gleich nach Verlassen der großen ("Pracht-")Straße mit den paar Geschäften, Restaurants und Flugbüros ist die wirklich ätzende Armut, die einem auf Schritt und Tritt begegnet. Zerlumpte, verdreckte, kranke Menschen, wo man auch hinsieht. Dieses unverhüllte, nackte Elend bereitet mir, der ich ja doch schon einiges an Armut und Jammer in anderen Teilen der Welt gesehen habe, regelrechte Schmerzen! Da hilft auch weggucken nicht, so wenig wie der Versuch, das Unübersehbare zu ignorieren. Die große Zahl der Bettler,zum Teil verstümmelt, fast immer aufdringlich, tut ihr übriges.

Dazu viel Gestank und Dreck. Kein Wunder also, daß selbst längst ausgestorben geglaubte Seuchen wie in diesem Fall die Pest, die natürlich für uns privilegierte Weiße hier kein Thema ist, einen idealen Nährboden finden. Und überall ist nachzulesen, daß die Misere in diesem wie in anderen Ländern immer schneller galoppiert - Aussicht auf Lebensverbesserung: Fehlanzeige! Und neben den ökonomischen noch die ökologischen Probleme, aber davon später mehr.

Im einzigen "Nobelschuppen" im Zentrum von Tana, dem "Hôtel de France" treffen wir um sechs, kurz vor dem raschen Dunkelwerden, - wie verabredet - Marie Hooper, Klausens schwarze Bekannte von der Nachbarinsel Mauritius. Ob unser für mich zunächst unerwartete Dreiergespann wohl funktionieren wird?

"On verra" - schaumermal! Bei einem guten Abendessen in gemütlicher Umgebung ist das gegenseitige Beschnuppern bald einem angeregten quirligen Pallaver gewichen. Wir schmieden Routen- und Zeitpläne für die nächsten drei Wochen und beobachten nebenbei ein paar Sextouristen bei ihrer "Arbeit" (wobei es zunächst mal nur um Kommunikationsversuche mit den hübschen Einheimischen geht).

 Ich bin müde - nichts wie ab in die nicht gerade aprilfrische Falle! Da kann mich auch der blöde (deutsche) Typ nicht mehr aus der Ruhe bringen, der mir auf dem Weg zu meinem Zimmer die Ohren vollabert, wie er sechs Wochen lang die Insel durchradelt habe. Eigentlich wär's ja interessant gewesen, wenn sein konfuses Gefasel nicht für sich gesprochen hätte: offenbar hatte er wohl in jeder Hinsicht "ein Rad ab".

 

 Montag, den 2. April (Tana)

 Als gute alte Traveller organisieren wir den weiteren Reiseverlauf natürlich selbst, und so ist zunächst mal Schlangestehen angesagt: Bahnhof, Bank, Büro der Air Madagascar. Und das ganze ein paar mal die Avenue de l'Indépendence rauf und runter. Dazwischen immer das eine oder andere Intermezzo bei einem der vielen Kunstgewerbestände oder vor kunterbunten Obstauslagen, bestehend aus liebevoll aufgeschichteten Pyramiden aus Avokados, Mangos, Lychees und dergleichen mehr. Fündig werden wir bei Bahn und Bank, den großen Frust erleben wir bei unseren Flugbuchungsbemühungen.

Nach ca. zwei Stunden qualvollen Verhandelns und Austüftelns verschiedenster Flugkonstellationen bleibt uns am Schluß nur die Erkenntnis, daß alle Bemühungen für die Katz gewesen sind: "Pas de vol pour vous, Messieurs." Unsere Planung gerät also leicht ins Wanken.

Etwas Entschädigung für den erlittenen Frust bekommen wir dann spät am Abend in einem noblen orientalischen Restaurant. Da für uns alles so billig ist, schlagen wir heute hemmungslos zu: Ich bestelle mir ein sehr leckeres Zebu-Steak (Zebu= afrikanisches Buckelrind), als Nachtisch "Banane flambée". Kostenpunkt: umgerechnet 5,50 DM.

Inzwischen sind wir ins etwas "feudalere" "Terminus" umgezogen. Die ersten Einkäufe werden getätigt. So bereichere ich meine heimische Instrumentensammlung um ein schönes Saiteninstrument aus Bambusrohr.

 

 Dienstag, den 3. April (Tana - Antsirabé)

 Noch vor dem allmorgendlichen Sonnenaufgang gegen sechs Uhr müssen wir heute auf der Matte sein. Denn um sechs geht bereits unser Zug nach Antsirabé.

Und das tut er dann auch, ganz pünktlich, zunächst gemächlich durch die langsam zu neuem Leben erwachenden Vororte Tanas, dann immer flotter vorbei an erstaunlich großen Ackerflächen, inmitten einer landschaftlich reizvollen Hochebene. Tana liegt genau wie Antsirabé auf einem Hochplateau von ca. 1500m Höhe. Die Zugfahrt verläuft für Dritte-Welt-Verhältnisse ungewöhnlich "zivilisiert", was immer das auch heißen mag. Trotz zweiter Klasse haben wir - natürlich sehr beengt - einen Sitzplatz; und so vergehen die vier Stunden Fahrt für 160 km wie im Fluge.

Antsirabé ist bekannt für seine Thermalquellen und das gute (und einzige) Bier des Landes, das "Three Horses". Aber die eigentliche Besonderheit sind die sog. "Pousse-Pousse", ein Begriff, der gleich am Bahnhof in aller Munde ist. Ähnlich wie in vielen asiatischen Ländern stößt man hier auf eine Heerschar von Rikschas, deren Fahrer dem Ankömmling ihre Dienste aufzudrängen versuchen.

Anders als zu meinen Asienzeiten begebe ich mich (respektive auch die anderen) in ein solches Gefährt, da sich bei mir inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß es den vielen schmächtigen Rikschaboys mit den ohnehin nur gepachteten Fahrzeugen ohne mein/unser Zutun noch schlechter ginge. Da ist man angesichts eines solchen Sklavendienstes auch eher bereit, ein paar Francs mehr zu zahlen, als durch Handeln sonst einzusparen wären.

Im Hotel "Baobab" treffen sich alle Traveller wieder, die sich zuvor mit uns im Zug befunden hatten. Übermäßig attraktiv finden wir die Stadt beim anschließenden Stadtbummel nicht - Fotomotive vor allem auf dem gewaltigen Markt mit seinen für uns exotischen Gestalten gibt's allerdings en masse. Sehr deutlich sichtbar ist hier der stärkere asiatische Einschlag der Einheimischen, sei's aufgrund ihrer Physiognomie, ihrer Hautfarbe, der geringeren Körpergröße oder einfach der asiatisch anmutenden Kleidung.

 Gegen Nachmittag suchen Klaus und ich ein riesiges Nobelhotel aus der Kolonialzeit auf, das sicher schon bessere Zeiten gesehen hat, das "Hôtel des Thermes".

Kurios wird es dann bei unserem Besuch im benachbarten Thermalbad, der allerdings ganz anders verläuft, als wir uns das vorgestellt haben: Als wir das ebenfalls koloniale Gebäude betreten, fängt uns ein diensteifriger Monsieur ab, der sich als "Docteur Dominique"vorstellt. Dieser Doktor nun referiert in der folgenden halben Stunde über die Bedeutung des Thermalbades in allen seinen Funktionen, zeigt uns die (versifften) Badewannen, Saunaräume, Fangowannen etc. und fordert mich immer wieder auf, Klaus alles haarklein zu übersetzen, was ich denn auch brav tue.

Wir sind hochmotiviert ob solchen Diensteifers eines Badearztes und zahlen dann natürlich "gerne"- allerdings doch mit einigem Erstaunen -die 2500 Francs (ca. 3DM), die der gute Mann abschließend für seine Touristenführung verlangt...

 

 Mittwoch, den 4. April (Fahrt zum Trinitrave-See)

 Heute sind gleich fünf "Vazahas" unterwegs auf Expedition. "Vazaha" ist der ständig zu hörende Ruf für alles, was weiße Hautfarbe trägt. Fünf sind wir deshalb, weil Olof und Anne, zwei sehr nette 21-jährige Schweden, uns auf unserer Tour zum Lac Trinitrave begleiten. Die organisierte Fahrt lehnen wir ab, und schon nach kurzer Suche finden wir einen Mann mit einem äußerst klapprigen R4, der bereit ist, uns zum Fixpreis von 30 000 Fr. nach Belazoa zu fahren und uns von dort am Nachmittag wieder abzuholen.

Das was Stefan Hillerich in seinem Buch "Abenteuer Madagaskar" als Trip "in eine andere Welt" schildert, erscheint uns auf den ersten Blick nicht ganz so abenteuerlich, aber immerhin ist dies der Anfang eines herrlichen, erlebnisreichen Tages.

Der erste Teil einer Autofahrt durch unwegsames Gelände in Dritte-Welt-Ländern wird grundsätzlich von einer Reifen- oder Motorpanne begleitet. So also auch hier; doch flink ist ein "neuer", ebenso abgefahrener Reifen wie dessen Vorgängermodell montiert; und uns bleibt nur die Hoffnung, daß dieser wenigstens die nächsten Kilometer heile überstehen wird.

Von unserem Zielort aus starten wir schließlich in Richtung Trinitrave-See, einem Kratersee, um den sich diverse Legenden ranken (nachzulesen bei Hillerich bzw. Dumont). Die ausgedehnte Wanderung führt durch eine weit einsehbare Hochebene, gekennzeichnet durch große Reis- und Maisfelder, die teilweise ganz kunstvoll auf Terassen angelegt sind.

Und immer wieder erstaunt zusammenlaufende Menschen, die wohl selten bisher einen "Vazaha" hier leibhaftig haben vorbeispazieren sehen. Die meisten von ihnen grüßen freundlich und versuchen - genau wie in Antsirabé - nebenbei ein kleines Geschäft zu machen: Entweder wollen sie Edel- oder Halbedelsteine an den Mann/die Frau bringen, bieten ihre Dienste als Fremdenführer an oder hoffen, wenigstens einen ihrer sicher mühsam geflochtenen Hüte aus getrockneten Maisblätttern zu verkaufen. Nach längerer Anprobe wechseln einige Hüte die Besitzer.

Endlich, etliche Kilometer Fußmarsch liegen hinter uns, taucht vor uns in einem tiefen Kraterloch der gesuchte See auf. Dunkelgrün leuchtet er da unten, zum Bade einladend nach der vorausgegangenen Strapaze. Davon, daß, wie beschrieben, der See die Form Madagaskars aufweist, können wir uns nun überzeugen.

Nicht ganz recht allerdings hat Herr Hillerich mit seiner Behauptung, das Wasser des Sees sei zu kalt zum Baden. Das Gegenteil ist der Fall. In Unterhosen durchschwimmen wir den herrlich warmen See und finden's super!

Auf dem Rückweg mit den nicht enden wollenden Fotomotiven werden wir noch eines weiteren Bonbons zuteil: ein leerer, von einem Zebu-Gespann gezogener Karren wird für uns zum willkommenen Beförderungsmittel für die nächsten paar hundert Meter.

Während der letzten Etappe bis Belazao wandern wir quer durch Maisfelder, an abgelegenen Weilern vorbei und wundern uns, daß man auch hier die gängigen Fragen wie "de la monnaie, Monsieur?" überall zugezischelt bekommt.

 Unser "Taxi" ist pünktlich, die Fahrt zurück nach Antsirabé reibungslos. Am Abend prasselt ein ordentlicher Regenguß nieder. Etwas kühler ist es nun, und auch das Essen im (relativ) teuren und wenig atmosphärischen Restaurant des Hôtel des Thermes kann uns nicht sonderlich erwärmen.

Anders verhält es sich da beim nächtlichen Discobesuch, wo echt "à l'africaine" die "Post abgeht".

 

 Donnerstag, den 5. April (Antsirabé -Ambositra -Finaranantso)

 Einmal noch Pousse-Pousse fahren, schnell ein Taxi-Bé gesucht (ein Großkombi für neun Personen, zumeist klapprige Peugeot 504), etwas mehr als üblich bezahlt - dafür aber besser gesessen (mit weniger Insassen), und auf geht's in Richtung Ambositra (sprich: Ambuschtre).

Diese vom Reiseführer mit eineinhalb Stunden Fahrt angegebene, scheinbar harmlose Fahrt entpuppt sich - oh Schreck - als der reinste Höllentrip! Zum einen weist die Straße (?) einen unvorstellbaren Zustand auf (alles bisher Gesehene wird hier locker in den Schatten gestellt), zum andern scheint jedes noch so große Schlagloch (Erdhöhle wäre vielleicht der bessere Ausdruck), unseren Fahrer zu beflügeln, noch eins draufzulegen. Überhaupt präsentiert sich der Kerl als recht lustiger "Vogel", unterhält sich während der Fahrt nach rechts, nach hinten, läuft dadurch mehrfach Gefahr, von der Piste abzukommen; leert zwischendurch mit seinen Nebenmännern eine Flasche Wein, überholt feixend an den unübersichtlichsten Stellen und repariert unterwegs auf unnachahmliche Weise mehrmals seine kurz vor dem Kollaps stehende Klapperkiste.

Olof und Anne, die beiden mit uns reisenden Schweden, möchten aussteigen. Sie fürchten regelrecht um ihr Leben.

Letztlich erreicht unser "Helldriver" nach gut drei Stunden aber doch noch sein Ziel, auf daß wir uns im empfohlenen Grand Hôtel erstmal moralisch wie physisch wieder aufpäppeln.

 

Bemerkenswert in Ambositra: ein Benediktinerkloster, der dort hergestellte Käse (lecker!), Holzschnitzarbeiten und Mädchen, die kleine Gastgeschenke verteilen und gleichzeitig darum bitten, ihnen einmal aus der Heimat zu schreiben. Vielleicht ließe sich daraus sogar eine Briefpartnerschaft mit einigen meiner Schülerinnen herstellen. (Nachträgliche Anmerkung: Zu eben diesen Partnerschaften ist es im Nachhinein gekommen, was mich und sicher auch die Mädchen sehr gefreut hat.)

Mit Glück erwischen wir kurz vorm Dunkelwerden noch ein Taxi-Bé nach Finaranantsoa, kurz Fianar, was soviel wie "dort wo man das Gute lernt" bedeutet. Gut sind diesmal im Gegensatz zum Vormittag zunächst Fahrer und Fahrzeug, und so landen wir nach drei Stunden sicher an unserem Ziel. Gut ist auch unsere Unterkunft sowie das ausgezeichnete Mahl im "Panda", einem chinesischen Lokal .

 

 Freitag, den 6. April (Fianar - Manakara)

 Aufstehen um 5Uhr15! Als First-Class-Tourist mit eingeplantem Bakschisch bekommen wir - vor den vielen, vielen Wartenden - problemlos unser Ticket. Und kurz nach sieben setzt sich der vollbesetzte Zug in Marsch.

Ziel: Manakara, ein Städtchen an der feuchtheißen Ostküste Madagaskars. Auch in der 1.Klasse ist es sehr voll, ganz zu schweigen von der 2. Noch ist es angenehm kühl; doch das soll sich bald ändern.

Langsam, ganz langsam arbeitet sich der Zug vorwärts, immer wieder die Fahrt verlangsamend, denn es geht mächtig bergab. Außerdem bleibt er an jeder Kleckerstation stehen - für die Einheimischen ist der Bahnanschluß sicher so eine Art (Über-)Lebensnerv. Für uns wird es zunehmend strapaziöser. Was uns anfangs wegen der fotogenen Bahnhofsszenen noch gefallen hat , entwickelt sich langsam zu einer schweißtreibenden Angelegenheit. Doch Enge und Hitze zum Trotz genießen wir das exotische Szenario: die Fahrt durch den immer dichter werdenden Regenwald ist ein absolutes Highlight! Pflanzenvielfalt in Stockwerkaufbau par excellence, Wasserfälle und tolle Ausblicke über (immer noch) riesige Urwaldareale. Auch die an den Stationen angebotenen Früchte sind tropisch-exotisch. So lernen wir die Jaty-Frucht (Schreibweise?) kennen, die das Aussehen einer gewaltigen Artischoke hat, innen aber wie Pudding aussieht und witzigerweise auch so schmeckt.

Ein Wermutstropfen begleitet die vegetarische Schlemmerei:

Trotz meiner Vorsicht hinsichtlich Salat, Eis und so weiter war ich im Hôtel des Thermes in Fianar doch einmal schwach geworden, als es Eis als Dessert zum Tagesmenü gegeben hatte. Die Moral von der Geschicht', iß besser nirgendwo kein Eis nicht! Langer Rede kurzer Sinn: mir geht's buchstäblich beschissen! Bei Marie und Anna, die ebenfalls von dem leckeren Nachtisch genascht hatten, scheint es auch eingeschlagen zu haben.

Gegen halb vier ist es geschafft. Achteinhalb(!) Stunden für ca. 180km(!) - ein beachtlicher Schnitt. Unser Quartier heißt "Hôtel Sidi" und beherbergt zugleich die örtliche Disco, die wir am Abend kurz aufsuchen. Eine Riesenkakerlake bewohnt neben ein paar Geckos noch unser Zimmer. Erstmals kommt mein neues Moskitonetz zum Einsatz.

 

 Samstag, den 7. April (Relaxen in Manakara)

 Nach Tagen großer Aktivität ist heute einmal Relaxen angesagt.

Karten schreiben, die wiedergetroffenen Traveller vom Hinflug nach ihren Erfahrungen mit Air Madagascar befragen, weitere Reiserouten ausloten, mit Letitia, der kontaktfreudigen, kleinen Tochter unserer Patronne, herumtollen und auf bessere Zeiten (in bezug auf meine rumorenden Innereien) warten.

Mit dem Hotel-Fahrrad erkunde ich zwischendurch etwas die Gegend und verweile eine Zeitlang am traumhaft schönen Strand des Indischen Ozeans. Vom Baden dort hat man uns allerdings dringendst abgeraten, da es hier vor Haifischen strotzen soll. Wie schade!

Gegen Abend ziehe ich mit Klaus noch einmal los. Sehr viele "Vazahas" sind hier sicher noch nicht gewesen, denn für die einheimische Bevölkerung sind wir in unserer lächerlichen Touristentracht (kurze Hose, den Fotoapparat immer schußbereit haltend) offensichtlich d i e Attraktion.

Von großer Attraktivität für uns hingegen ist die bunte Marktszenerie - so etwa habe ich mir immer das typische Afrika vorgestellt, auch wenn Madagaskar nun eigentlich nicht gerade repräsentativ für den afrikanischen Kontinent ist.

Zwei Jungen führen uns etwas außerhalb der Stadt durch Reisplantagen, vorbei an Brotbäumen, Ananaspflanzungen, Mangobäumen und vielem mehr von dem, was die Tropen zu bieten haben. Es riecht ein bißchen nach Garten Eden, auch wenn dem sicher nicht so ist. Daß wir anschließend genau wie in Ambositra Adressentausch mit den beiden Jungs betreiben, ist Ehrensache.

 

Beim abendlichen "Stadtbummel" kommen wir auf staubiger Piste an mehreren Bretterverhauen mit der Aufschrift "Video-Club" vorbei, wo Brutalo-Streifen die Massen anziehen. Anziehender für uns ist die örtliche "Spielhalle", in der sich die Jugend beim samstäglichen "Babyfoot" vergnügt, unseren Kickerspielen vergleichbar. Olof drängt mich zu einer Partie, und so wird die deutsch-madegassische Begegnung in der Besetzung Herforth/Scholtz gegen ?/? zur Attraktion des Abends. Uns alten Chauvis ist klar: die Deutschen sind die besseren Fußballspieler, wie das Ergebnis von 2:1 für uns beweist. Das aber nur mit viel Glück! Die Spiele werden bei den Jungs sicher noch 'ne Weile für Gesprächsstoff dienen - genau wie für uns!

 Abschluß, aber nicht Höhepunkt des Tages ist der Disco-Besuch neben unserem Hotel. Eine schwarze Schönheit versucht etwas aufdringlich anzubandeln, merkt jedoch nicht, daß wir auf ihre nächtliche Begleitung nicht sonderlich scharf sind. So müssen wir sie regelrecht austricksen, um sie loszuwerden. Lautes, wütendes Bollern gegen die Tür unseres Hotelzimmers ist ihre Antwort.

 

 Sonntag, den 8. April (Fahrt zum Bungalowdorf)

 Meine Magen-Darmverstimmung nimmt wieder dramatischere Formen an. Trotzdem haben wir uns zu einem Trip per Kleinbus zu den hoteleigenen "Bungalows" überreden lassen. Baden und Besichtigung eines Eingeborenendorfes sollen in den 5000 Fr. enthalten sein.

Nach sehr holpriger Fahrt erreichen wir ziemlich bald eine halbfertige Ferienanlage, die man uns bei brütender Hitze in allen Einzelheiten erklärt. Der geplante Swimmingpool, der Basketballplatz, alles in gewaltigen Dimensionen, wenn man bedenkt, daß in und um Manakara wie auch sonst in den meisten Gegenden Madagaskars so gut wie keine touristische Infrastruktur existiert. Überhaupt ist ja Massentourismus hier (zum Glück) absolut Fehlanzeige. Und wie sich da eine so monströse Investition jemals rentieren soll, ist mir schleierhaft. Das soll aber nicht unser Problem sein.

Problematisch wird für mich hingegen die Intensität der tropischen Sonneneinstrahlung; denn schon innerhalb kurzer Zeit färben sich Gesicht und Arme rot und röter. Da bringt auch das Schwimmen im angrenzenden Brackwasser eines hier endenden Kanalarmes kaum Abkühlung. Baden im Meer übrigens ist auch hier wegen Haifischgefahr Fehlanzeige.

Nach Besichtigung, Schwimmen und Rösten dürfen wir das kleine Dorf gegenüber bzw. die dazugehörigen Pflanzungen besichtigen.

Doch bevor es dazu kommt, ein Schrei, und ehe ich es richtig gewahr werde, plumpst es mächtig in meiner Nähe: Klaus und Anne wollten sich statt mit der vorsintflutlichen Fähre lieber exklusiv per Einbaum-Piroge von einem Eingeborenen auf die andere Kanalseite chauffieren lassen. Doch dem Anschein nach war das Gefährt für europäische Maße und Gewichte wohl nicht vorgesehen. Jedenfalls ist es schlicht und ergreifend gesunken. und mit ihm der darin befindliche Inhalt, will sagen Klaus, Anna und der Pirogenpaddler samt kleinem Gepäck. Ein unbeschreiblich grotesker Anblick!

Daß alles triefend naß ist nach geglückter Rettung, versteht sich von selbst. So auch das teure Zoom-Objektiv von Heides Kamera, das Klaus in Verwahrung hatte. So haben wir bei genauerer Betrachtung des Objektivs im wahrsten Sinne des Wortes Mattscheibe. Da hilft nur das Prinzip Hoffnung.

Klaus jedenfalls, einfach umwerfend komisch in seiner triefenden Tropenkluft anzusehen, fühlt sich darin bestätigt, mit dem Kauf seiner wasserdichten Kompaktkamera das Richtige getan zu haben.

Die versprochene Dorfbesichtigung fällt recht dürftig aus; meine etwas angeknackste Stimmung, der Sonnenbrand und mein Darmzipperlein tun ihr übriges. Und dazu immer noch das aufdringliche Gelaber unseres "Mädchens für alles", des Hotelmanagers, des Obers, Diskjockeys und Fremdenführers in einer Person.

 

Eine Anmerkung am Rande: Mehrfach ist uns während unserer bisherigen Reise aufgefallen, daß Madagaskar anscheinend von dem uns so sattsam bekannten Industriemüll jeglicher Art bisher mehr oder weniger verschont geblieben ist. Alles scheint organisch, alle Geräte, Gebrauchsgegenstände und Dinge des täglichen Lebens sind aus heimischen Pflanzen und Produkten gefertigt. Zumindest das Abfallproblem westlicher Prägung hat man hierher noch nicht exportieren können.

 

Ein letztes Dîner im Hotel Sidi, leichter Unmut über etwas dubiose Geschäftspraktiken unseres Hotelfaktotums, Abschied von Letitia, dem koketten Töchterchen der Chefin, und wieder geht eine Reiseetappe zu Ende.

 

 Montag, den 9. April (Manakara - Fianar)

 Wie schon oben beschrieben, ist das mit der individuellen Reiseplanung auf Madagaskar so eine Sache. Unsere urprünglichen Pläne bezüglich Flug und Abstecher nach Fort Dauphin im Süden der Insel haben wir schon begraben müssen. Es bleibt uns nun sogar nichts anderes übrig, als dieselbe Strecke nach Fianar mit dem Zug zurückzufahren, die wir Samstag schon in Gegenrichtung befahren haben.

 

 Donnerstag, den 12. April - Tana - (Wo sind die dazwischenliegenden Tage?)

 Eigentlich hat auf unserer bisherigen Tour alles bestens geklappt. Und dann das! Es ist zum Heulen. Ich habe in Fianar in "Jim's Hotel Bed and Breakfast" mein Reisetagebuch liegengelassen. "Alles, nur nicht das", war mein erster Gedanke, als ich etwa 350 km weiter, in Antsirabé, das Büchlein auspacken wollte, um meinen Tagesbericht zu schreiben. Doch die Sache war eindeutig und nicht mehr zu ändern: das Buch war weg!

"Zufall? Kann das alles Zufall sein?" Diese Frage haben Klaus und ich uns während dieser Reise ein paar mal gestellt, wenn uns beispielsweise ein Traveller unvermutet über den Weg lief, mit dem wir zuvor schon woanders zusammen gereist waren oder wenn gerade in dem Moment eine "helping hand" zur Stelle war, wenn Not am Mann war, und diese unseren weiteren Reiseverlauf mitbestimmte.

In diesem Fall nun war es Marie, die einen 7.Sinn zu haben schien. Aus welchem Grund auch immer hatte sie sich in Fianar die Adresse und Telefonnummer von Jims sog. Hotel (eigentlich vermittelte es mehr den Eindruck eines Kinderpensionats) geben lassen. Drei Telefonversuche dorthin, einer in Antsirabé, zwei in Tana , blieben erfolglos. Also nahm ich mir vor, eine Karte nach Fianar zu schreiben mit der Bitte um Übersendung des Tagebuchs nach Tana zu unserem dortigen Hotel.

In Tana dann, auf dem Weg zu einem Restaurant, sprach mich auf der Straße ein Typ an, was hier durchaus nichts Ungewöhnliches war. Er fragte, ob ich ihm Vanille abkaufen wolle. Obwohl ich dies verneinte, kamen wir ins Gespräch. Und wie's der oben schon strapazierte Zufall will, stellt sich heraus, daß es sich bei dem etwas abgerissen wirkenden jungen Mann um niemand Geringeres handelt als den Bruder eben jenes Jim aus dem 480 km entfernten Fianar, von dem hier die ganze Zeit die Rede gewesen ist.

Und wie's der Zufall will, reist Pita, so sein Name, in der kommenden Nacht nach Fianar, um dort seinen Bruder zu besuchen. Und noch nicht genug: Er wird Donnerstag nächster Woche zurückkommen - mit meinem Tagebuch, sollte alles so klappen!

Etwas zweifelhaft allerdings wird diese ganze seltsame Begegnung, als mir Pita noch von einem Diebstahl während der vergangenen Nacht erzählt, bei dem alle seine Sachen gestohlen worden seien. Zur Verfolgung der Angelegenheit habe er der Polizei einen hohen Geldbetrag zahlen müssen, so daß er folglich sehr knapp bei Kasse sei. Nachtigall, ick hör dir trapsen?! Na jedenfalls astrein klingt die Story nicht.

Nichtsdestotrotz nehme ich sein Angebot an, das da lautet, Marie, Klaus und mich am Nachmittag im Botanischen Garten von Tana - gegen Entgelt, versteht sich - herumzuführen und uns dort alle heimischen Besonderheiten zu erklären.

 Nachdem ich Klaus und Marie über mein Vorhaben informiert habe und wir mit einiger Verspätung den Park erreicht haben, studieren wir erst einmal in Ruhe die landestypische Flora, um uns dann der Tierart zu widmen, deretwegen viele Reisende und Naturliebhaber einen Trip ins ferne Madagaskar unternehmen, nämlich die Spezies der Lemuren, oder auch Halbaffen genannt. Diese sollen ursprünglich schon vor den Affen nur hier auf Madagaskar existiert haben und sollen quasi deren und somit letztlich auch unsere Vorfahren sein. Auf alle Fälle sind es sehr possierliche Tiere, die in erstaunlicher Artenvielfalt hier anzutreffen sind. Daneben bekommen wir auch Chamäleons, Krokodile und andere Exoten zu Gesicht.

 Um nun die Geschichte mit Pita für den heutigen Tag zu Ende zu bringen, zum Schluß noch folgende Episode: Nach einem delikaten Mahl (ohne Pita) im Nobelrestaurant "Grand Orient" (die mit der Barmusik), sitze ich spät am Abend in der Hotelhalle des "Terminus", um meine Tagebuchaufzeichnungen zu vervollständigen, als Pita plötzlich "hereinschneit" und mir mit einer weiteren Revolvergeschichte 8000 Fr. abluchst. Der Dieb seiner Sachen sei gefaßt und er benötige zur weiteren Verfolgung... undsoweiterundsofort. Ich gebe ihm 1000 Fr., obwohl die ganze Sache natürlich zum Himmel stinkt. Aber schließlich geht's mir um mein Tagebuch, und mehr als 11DM verlieren kann ich dabei nicht. Außerdem sind Klaus und ich mit dem Vertrauen in die vielen Leute, mit denen wir auf unserer Reise bisher zu tun hatten, noch nicht auf die Nase gefallen.

 

 Montag, den 9. April (Ein großer Sprung zurück)

 Ich mache einen Sprung zurück zu dem Punkt, an dem meine Aufzeichnungen aus Tagebuch Nr.1 endeten. Wir befinden uns auf unserer Rückfahrt von Manakara nach Fianar, derselben hochinteressanten Bahnstrecke durch tropische Vegetation, die wir vor Tagen schon in Gegenrichtung absolviert haben,

In Fianar angekommen, erleben wir erstmals ein ausgebuchtes Hotel. Schade, denn hier hatten wir uns zuvor wohlgefühlt. Doch ein neuerlicher Glücksgriff läßt nicht lange auf sich warten: Ein pfiffiger und wortgewandter junger Bursche läuft uns - sicher nicht zufällig - dafür aber zur rechten Zeit und am rechten Ort über den Weg und bietet uns seine Dienste an.

Zunächst heißt's wacker marschieren mit komplettem Gepäck zu einer Herberge, die den schon mehrfach erwähnten Namen "Jim's Hotel Bed and Breakfast" trägt; etwas kurios, zum einen weil der Name im absolut frankophonen Madagaskar etwas deplaziert erscheint, zum andern weil der Begriff für das (allerdings fast neue) Gebäude kaum zutrifft. Auf Anhieb fühlen wir fünf uns dort wohl (Olof und Anne sind zu unserer Freude immer noch bei uns).

Dieses Wohlbefinden verstärkt sich noch während des anschließenden obligaten Stadtrundgangs, denn Fianar entpuppt sich entgegen der Reiseführerbeschreibung (Dumont) als freundliche, geschäftige und relativ wohlhabende Stadt mit über 400.000Einwohnern. Weiteren Auftrieb erhalten wir, als man uns bei Air Madagascar Buchungsmöglichkeiten von und nach Sainte-Marie in Aussicht stellt. Sainte-Marie, eine winzige Nachbarinsel im Indischen Ozean, soll den Abschluß unserer Reise bilden. Aber soweit ist es längst noch nicht.

 Am Abend wird unsere Gesellschaft noch internationaler: Zu unserer Fünfergemeinschaft finden sich zusätzlich zwei Engländer zu einem gemeinsamen Abendessen ein. Es handelt sich um ein junges Forscherpaar, das einige Zeit im Dschungel mit der Beobachtung von Flora und vor allem Fauna, sprich von Lemuren zugebracht hat.

Das große Menü, von Jim selbst zubereitet, gestaltet sich recht schmackhaft und kurzweilig. Mein Magen bzw. Darm findet jedoch offensichtlich wenig Gefallen an den heimischen Wurstspezialitäten. The same procedure as every day!

 

 Dienstag, den 10. April (Fianar - Antsirabé)

 Hurra! Wir haben die Flüge von und nach Ste.-Marie fest (von Tamatave aus). Es geschehen noch Zeichen und Wunder - oder so. Dafür fällt der geplante Abstecher in das Regenwaldreservat von Ranomafana ins Wasser.

Leider heißt es deshalb nun Abschied nehmen von Olof und Anne, mit denen wir wirklich eine schöne Zeit hatten. Die beiden, die schon ein paar Monate Afrika hinter sich haben und die nach einem Abstecher an die Westküste Madagaskars wieder afrikanisches Festland anpeilen, zieht es langsam in Richtung Heimat. Zur Fußballweltmeisterschaft im Juni wollen sie spätestens in Schweden sein.

 

Erfreulicherweise laufen uns beim fälligen Geldwechsel zwei Deutsche über den Weg, deren Bekanntschaft wir zunächst beim Hinflug nach Madagaskar gemacht und die wir in unserem Hotel in Manakara wiedergetroffen hatten. Gemeinsam sind wir stark, finanzstark: Wir leisten uns den Luxus eines kompletten "Taxi Familial" mit neun Plätzen, um die 350 km nach Antsirabé hinter uns zu bringen. Marterstrecke, Helldriver, Ralley Malgache - Qualen, die uns von der Hinfahrt noch gut bis saumäßig in Erinnerung sind, sind heute kein Thema. Ein besonnener Fahrer, ein relativ intaktes Fahrzeug (mit "nur" einem Plattfuß unterwegs) und schöne Ausblicke auf die "Hautes Terres", das Hochland in der Mitte Madagaskars, machen's möglich.

Bei aller landschaftlichen Schönheit können wir uns unterwegs allerdings immer wieder davon überzeugen, wie groß die Wunden sind, die in die immer lichter werdenden Wälder bereits geschlagen worden sind. Die damit verbundenen , äußerst problematischen Erosionsschäden sind unübersehbar.

 

In Antsirabé herrscht Ferienstimmung. Die guten Traveller-Hotels sind voll, auch das geschätzte Baobab, so daß uns nur ein Ausweichquartier in einem ehemaligen Soldatenheim bleibt. Ein monströses Zimmer in einem monströsen Gebäude. Von hier oben kann man die grotesk wirkenden "Pousse-Pousse"- Gefährte besonders gut beobachten. Wie aufgeschreckte Insekten sehen sie aus, wie sie von ihren Herren in affenartiger Geschwindigkeit in Bewegung gesetzt werden, sobald irgendwo ein potentieller Kunde auftaucht.

 

 Mittwoch, den 11. April (Antsirabé - Tana)

 Bahnfahrt nach Tana - wie gehabt. Diesmal allerdings erster Klasse. Für die 150 km werden uns lächerliche 5,50 DM berechnet.

In Tana angekommen, Hôtel Terminus; auch wie gehabt. Warten bei Air Madagascar auf den Erhalt unserer Flugtickets nach Ste.-Marie, fast wie gehabt, mit dem Unterschied, daß wir diesmal mit einem Erfolgserlebnis das Gebäude in der Avenue de l'Indépendence verlassen.

Bei einem abendlichen Bummel durch die Oberstadt von Tana stoßen Klaus und ich auf eine unerwartet große Anzahl attraktiver Geschäfte, vor allem Juwelierläden. Wir können uns gar nicht erklären, von wem oder was die alle existieren können. Abendessen beim Chinesen.

 

Donnerstag, den 12. April

 Da mit Beginn meines Nachfolgetagebuches den Aufzeichnungen vom 12.4. nichts weiter hinzuzufügen ist (siehe vorne Stichwort "Pita"), hake ich den heutigen Tag einfach ab. Doch halt! Ich kann wieder essen. Montezumas Rache scheint sich (hoffentlich auf Dauer) verabschiedet zu haben.

 

 Freitag, den 13. April (Tana - Andasibé)

 Freitag, der Dreiezehnte - was der wohl bringen wird?

Wie nicht anders zu erwarten, zunächst mal nichts Gutes; denn kaum stehen wir morgens um sieben zum Abmarsch bereit, beehrt uns - wieder einmal, und das, wo er doch eigentlich schon in Fianar sein sollte - unser "Freund" Pita mit seinem Besuch. Diesmal versucht er es mit einer neuen Geschichte: er benötige 5000 Fr. fürs Taxi Brousse (= mit Menschen und Gepäck vollgestopfte Minibusse), da er ja bekanntlich momentan unter Geldmangel leide. Nachdem ich angesichts dieser Dauerschnorrerei erstmal abgewinkt habe, läßt auch Klaus sich nicht erweichen. Als Zeichen meines guten Willens (oder meiner Gutmütigkeit, oder meiner Blödheit) gebe ich ihm letztlich doch noch 1000 Fr. - wobei meine Hoffnungen auf ein Wiedersehen mit Pita und meinem Tagebuch rapide schwinden.

 Ansonsten machen wir heute "in Luxus": Per Taxi lassen wir uns ins 150 km enfernte Andasibé chauffieren. Eisenbahntickets waren nicht mehr zu haben, darum der Luxus. Wenn man beim R4 von "Luxus" sprechen kann.

 Wir sind mitten im tropischen Regenwald, und der macht seinem Namen alle Ehre: Es regnet zwar keine Bindfäden (die Regenzeit ist fast vorbei), aber dafür recht beständig. So begleitet uns der graue Himmel von unserem mit viel Glück noch ergatterten Hütten-Bungalow in Andasibé "City" aus während der gesamten anschließenden Mini-Regenwaldexpedition.

 20.000 Fr pro Person hätten wir an Eintrittsgeld für den Besuch des Nationalparks "Perinet- Anamalazaotra" zahlen müssen, wenn wir - wie vorgeschrieben - uns das Ticket in Tana besorgt hätten. Nach längerem Verhandeln läßt man uns dann aber doch für nun insgesamt 20.000 Fr. für alle drei zusammen in das Naturschutzreservat eintreten.

Der uns zugewiesene "Guide" erklärt während der ersten paar hundert Meter unseres Dschungelmarsches die Bedeutung der einen oder anderen Pflanze, als er urplötzlich im Dickicht verschwindet. Von "attendre" und "lémuriens" hatte er noch was gemurmelt; von da ab ward er nicht mehr gesichtet. Ca. eine halbe Stunde stehen wir mitten im Urwald wie Pik sieben, kein Führer, keine Lemuren, so daß wir beschließen, auf eigene Faust loszuziehen. Und die ganze Regenwaldpracht läßt unsere Herzen wahrlich vor Freude hüpfen: ein Paradebeispiel für tropische Vegetation - ein hervorragendes Anschauungsobjekt für den Geographieunterricht.

Schmale Pfade führen uns auf und ab; zum Glück bleibt uns dabei die Orientierung einigermaßen erhalten.

Nach immerhin dreieinhalb Stunden "entrinnen" wir naß zwar, etwas verschlammt und voller Blutegel, aber auch zufrieden und bester Dinge kurz vorm Dunkelwerden der "Grünen Hölle". Unser Führer, den wir später in Andasibé wiedertreffen, erzählt uns, daß mehrere Leute zwei Stunden nach uns gesucht hätten (wenn's denn stimmt)...

 Es wird kühl. Immerhin befinden wir uns noch in knapp 1000 m Höhe.

Klaus hat eine Wette und somit eine Flasche guten Weins an mich verloren. Ich hatte morgens, als wir uns in unserem Luxustaxi befanden, gewettet, der Zug aus Tana sei vor uns in Andasibé. Der Witz bei der Sache war der, daß nur wenige Augenblicke vor Erreichen des "Hôtel de la Gare" in Andasibé der Zug eingelaufen war. Klaus kann es kaum fassen, findet seinen Glauben an die Menschheit aber wieder, als er am Abend beim Schachspiel gegen mich gewinnt.

 

 Samstag, den 14. April (Andasibé - Tamatave)

 Unsere heutige Reise soll uns erneut an die Ostküste führen, nach Tamatave, oder auch Tomasina.

Erstmal erfreuen wir uns endlich wieder des "Railway-Feelings", ein Gefühl, das einen bei Zugfahrten durch Länder der Dritten Welt regelmäßig überkommt. Bevor es allerdings dazu kommt, müssen wir uns diesmal unsere reservierten Plätze erkämpfen, denn auch die erste Klasse ist hoffnungslos überbesetzt.

Die Freude über das Wiedersehen des bayerischen Pärchens, das uns seit dem Flug von Zürich nach Tana nun schon regelmäßig über den Weg gelaufen ist, hält sich in Grenzen. Zu arrogant und unsensibel den Einheimischen gegenüber treten sie für unseren Geschmack auf.

 

Die sechseinhalbstündige Bahnfahrt geht mit Volldampf voran; lange durch dichten Regenwald; dann erreichen wir das Küstentiefland mit ausgedehnten Zuckerrohrplantagen, Bambusfeldern und Palmenhainen. An einer der zahllosen Haltestellen versorgen wir uns mit Bananen zu 15 Pfennigen für zwei große Hände voll und den ersten Lychees meines Lebens.

 Ankunft in Tamatave: Pousse-Pousse-Hektik wie in Antsirabé. Welcher Traveller hat als erster ein Zimmer in "seinem" Hotel ergattert? Der Wettlauf ist vergebens; denn erstmals heißt es überall "complet". Mit den beiden Bayern und einem bereits seit 11Monaten durch die Welt globetrottelnden Kanadier chinesischer Abstammung stehen wir nun herum wie die begossenen Pudel.

Nach längerem Beraten scheint uns das Schicksal wieder hold zu sein: Die Kellnerin im "Beau Rivage" sagt, wir könnten die Zimmer ihrer momentan verreisten Kinder nutzen und dort vorrübergehend unser Nachtlager aufschlagen. Schon wieder so ein Glückstreffer? Zufrieden lassen wir uns erst einmal zu einem gemeinschaftlichen "Dîner" nieder.

Als wir uns anschließend zu unserer versprochenen Herberge aufmachen wollen, hält uns eine Kollegin jener netten Kellnerin einen Brief unter die Nase, in dem uns mitgeteilt wird, daß es ihr furchtbar leid tue, aber ihr Mann gestatte das nächtliche Happening nicht. Basta.

Also richten wir uns seelisch darauf ein, die Nacht auf dem Boden des Restaurants zu verbringen, als doch ganz unvermutet ein Silberstreif am Horizont auftaucht: Einheimische Hotelgäste, die von unserem Dilemma gehört haben, treten uns eins ihrer zwei Zimmer im Hotel ab, was wir sehr zu schätzen wissen!

Doch wie bringt man sechs Personen in einem engen Zweibettzimmer unter? Ganz einfach: Zwei schlafen im Bett, drei auf dem Fußboden, nämlich Marie und ich (durch Losentscheid) und einer (nämlich der Kanadier) auf eigener Matte mit eigenem Schlafsack in einem der Nachbarzimmer (aus dem tierisch laute Musik dringt).

Das Nachtleben in Tamatave wird als sehr rege beschrieben. Davon können auch wir uns überzeugen, indem wir die drei Discos der (Hafen)-Stadt der Reihe nach abklappern. Auf afrikanische, wie auch auf madegassische und mauritianische Musik läßt sich besonders gut tanzen.

Als etwas ungewöhnlich empfinde ich dabei , daß Klaus und ich von einigen Tänzerinnen inmitten einer Menschenmenge als auffällige "Vazaha" mehrfach in Po, Bauch und Beine gekniffen werden, was wohl soviel heißen soll wie "Na, wie wär's denn mit uns beiden?". Ganze Heerscharen hübscher madegassischer Mädchen scheinen hier auf ihre Freier zu warten, wobei weiße "Kundschaft" offenbar bevorzugt wird.

 

 Sonntag, den 15. April (Ostersonntag in Tamatave)

 Nach lauter und schlafloser Nacht auf hartem Estrichboden geht die Hotelsuche wieder los. Da man hier in Tamatave wegen der Ostertage dem Touristenansturm (der eigenen Bevölkerung) offensichtlich nicht gewachsen ist, muß um die Unterbringungsmöglichkeiten wohl mit harten Bandagen gekämpft werden. Und so gelingt es mir, die beiden Bayern, die uns wegen ihres sonderlichen Gebarens und ihrer Ansichten über Land und Leute eh nicht sonderlich liegen, guten Gewissens auszutricksen.

Während ich die beiden mit dem Hotel Neptune ködern kann, ohne allerdings dessen Zimmerpreis von 75DM zu nennen, mache ich mich flugs auf zum "Etoile Rouge" und werde dort ebenfalls mit einem kleinen Trick fündig (weitere Ausführungen dazu würden zu weit führen). Mein langes Warten dort wird schließlich belohnt mit einem schönen und preiswerten Zimmer.

 Der Nachmittag gehört dem süßen Nichtstun am schönen Strand von Tamatave, wo wir unter anderem kleinen Mädchen bei ihrem Spiel im Sand zusehen. Wir begutachten koloniale Prachtbauten, die schon bessere Tage gesehen haben, schlendern die breite Allee hinunter und diskutieren über die "besten nichtgemachten Fotos meines Lebens" (Klaus).

"Sheena, die Königin des Dschungels" schwingt in der Frühabendvorstellung des Rex-Kinos wie weiland die seelige Jane von Liane zu Liane und bringt uns mit der albernen Filmhandlung und den Serengeti-Klischees immer wieder zum Lachen.

Und abends wieder in die Disco mit Männeranmache... Ein süßer Duft von Nelken und Vanille liegt über der Stadt.

 

 Montag, den 16. April (Tamatave - Sainte-Marie)

 Heute heißt es zunächst Abschied nehmen von Marie, unserer liebgewonnenen Reisebegleitung während der vergangenen zwei Wochen. Tschüs, Marie; wir hatten eine tolle Zeit zusammen. Und alles lief viel besser und problemloser in unserer Dreisamkeit, als ich es vorher erwartet hatte!

 Der durchziehende Zyklon bescheert uns ungeahnte Wassermassen; man muß sich den Weg durch die Fluten regelrecht erkämpfen.

Während Marie sich in Richtung Tana bzw. Mauritius orientiert, führt uns unser Weg per Flugzeug zur Insel Ste.-Marie. Auf zu neuen Ufern!

Das zweimotorige 18-sitzige Propellerflugzeug ist nicht mal zur Hälfte gefüllt, was uns bei der vermuteten Nachfrage nach Flügen sehr wundert. Schon nach einer halben Stunde landen wir auf Ste.-Marie und werden dort mit Pomp und Gloria empfangen: Uns zu Ehren trällert eine Schulklasse ein Liedchen, die heimische Fußballmannschaft ist komplett angetreten, und viele Menschen links und rechts säumen unseren Weg.

Aber welch eine Enttäuschung - der Empfang hat gar nicht uns gegolten! Nein, mit uns an Bord hatte sich (wie wir erfahren) der Tourismusminister des Landes befunden, der zu einem Inselbesuch angereist ist.

Unser Zubringerauto zur anvisierten Bungalowanlage "La Crique" ist schnell gefunden. Dann noch im Hotel Soanambo bei den "Marco Polos" reingeschaut (man gönnt sich ja sonst nichts!), und nun nichts wie ab geradewegs ins Paradies!

Eine unglaublich schöne Bucht, prachtvolle Vegetation und eine supergepflegte Bungalowanlage bestehend aus einem Restaurant und mehreren einfachen Holzhütten mit herrlichem Blick aufs Meer - ein wirklich paradiesisches Fleckchen Erde! Nun heißt's erst einmal ausruhen, schwimmen (!) und tauchen (die mitgebrachten Schnorchel machen's möglich), Wäsche waschen und vor allem die fast kitschig schöne Gegend genießen.

 

 Dienstag, den 17. April

 Ste.-Marie, die Trauminsel, 63 km lang, 5 breit, sehr dünn besiedelt und gesegnet mit tropischer Üppigkeit. Und wir mittendrin mit dem richtigen Riecher für die richtige Bleibe. Was will man mehr?

Vielleicht ein bißchen Sonne; denn heute schwimmen wir im Regen förmlich davon. Und das auf zwei Rädern, da wir uns zwei Fahrräder von unserem Bungalowbesitzer ausgeliehen haben.

Der erste Eindruck während unserer Expedition: Die Menschen hier sind überaus freundlich, grüßen fast überall mit "bonjour" und "salut", viel mehr Französisch scheinen allerdings die meisten auch nicht zu beherrschen. Der Massentourismus europäischen Zuschnitts mit all seinen negativen Auswirkungen, u.a. auf das Verhalten und die Einstellung der Einheimischen (Bakschisch- und Business-Mentalität), hat hier erfreulicherweise noch nicht Fuß gefaßt. Alles wirkt sehr urwüchsig, einfach, unverfälscht inmitten paradiesischer Umgebung (ich wiederhole mich).

Erste Station unseres Fahrradtrips ist ein kleiner Wasserfall, wo wir uns seitlich etwas in die Vegetation schlagen. Und da sitzt es, zunächst ganz seelenruhig, der Dinge harrend, die da kommen: das Chamäleon, nach dem ich mir im Botanischen Garten von Tana an der Glasvitrine die Nase plattgedrückt habe - in freier Natur, aus allernächster Nähe zu betrachten. Wir lassen es an uns entlangkrabbeln und machen ein paar Fotos. Sogar den phänomenalen Vorgang des Beutefangens mit riesiger Zunge in unglaublicher Geschwindigkeit und den anschließenden Verzehr des Insekts bekommen wir zu sehen.

 Doch dann kommt der große Regen. Wir müssen haltmachen, uns unter einem Baum unterstellen. Eine junge Frau bittet uns in ihre Hütte, bietet uns zu essen an (u.a. gekochte Brotfrucht, im Geschmack etwa wie eine Süßkartoffel), möchte uns ihre wenigen Handarbeiten verkaufen und hat mit ihrer Mutter zusammen einen Heidenspaß an uns. Ob's wohl an unserem lustigen Outfit liegt? - Beide mit kurzen Hosen und roten wallenden Regenumhängen...

Station Nummer drei ist der Hauptort der Insel mit einem unaussprechlichen Namen, wo das Leben nicht gerade pulsiert. Der Tintenfisch mit Reis und der Papayasaft im Freiluftrestaurant sind allerdings köstlich. Daraufhin treffen wir einen Schweizer, der uns erzählt, wie er mit Frau und (kleinem) Kind per Mountain-Bike durch Madagaskar geradelt sei. Stefan Hillerich ("Abenteuer Madagaskar") läßt grüßen.

Unsere Spritztour (und Schlammspritzer gab's wahrlich genug) endet kurz vor dem Dunkelwerden. Nach Erreichen unserer Hütte erwerbe ich nebenan in einem improvisierten Laden schnell noch eine der Wahnsinnsmuscheln bzw.Schneckenhäuser, die es hier wohl zuhauf gibt. Solch kolossale, spektakuläre Gebilde habe ich zuvor noch nirgends gesichtet.

Und noch eine Delikatesse zum Abendessen. Es gibt Langusten - wenn ich mich recht entsinne, die ersten meines Lebens. Während Klaus an der Knackerei der langen Schalentiere bzw. an deren Fleisch großen Gefallen findet, kann mir dieser exklusive Spaß keine Begeisterungsrufe entlocken. Längere Gespräche mit Axel und Petra, zwei Lufthansafreaks aus Frankfurt, beenden den Tag. Um zehn Uhr ist hier Zapfenstreich, indem der laut dröhnende Generator zum Schweigen gebracht wird.

 

 Mittwoch, den 18. April

 Regen, Regen, nichts als Regen! Erst gegen Mittag klart es etwas auf. Kurzerhand ziehen Klaus und ich los, pirschen durch einsame Buchten, klettern über Felsen, sehen Klausens heißgeliebten "Klippspringern" bei ihrer Tätigkeit zu, sammeln kleine und große Muscheln bzw. Korallen und landen schließlich in einem kleinen Dorf namens Lokintsi.

Dort erscheint alles noch völlig archaisch. Die Zivilisation hat (fast) noch nicht Einzug gehalten in diesem Nest. Zuckerrohr wird mittels eines Baumstammes, der hin- und hergerollt wird, ausgepreßt. In einem Bretterverhau, auf dem "Restaurant" geschrieben steht, bekommen wir den leckersten Fisch unserer Reise serviert.

 

 Donnerstag, den 19. April

 Endlich mal ein Tag, der ohne Regen, ja sogar mit etwas Sonnenschein beginnt. Und so folgen wir dem Rat unseres nicht immer unumstrittenen Dumont-Führers und starten zu einer ca. sechsstündigen Wanderung. Ziel ist die Ostseite der Insel.

Bergauf, bergab traben wir vorwärts, Klaus, heute nicht so recht in Form, immer ein paar Schritte zurück, bis wir unvermittelt zu Dritt sind: Ein ungebetener "Guide" setzt sich uns an die Fersen, aber das kennen wir ja schon...

Wir gelangen zu einem Dorf, in dessen Mittelpunkt wir von freundlichen Eingeborenen eine Erfrischung in Form frischer, köstlicher Kokosnußmilch serviert bekommen.

Anschließend kommt unser Führer zum Einsatz, indem er uns mit einer Piroge (jenem abenteuerlichen Einbaum, mit dem wir in Manakara einschlägige Erfahrungen gemacht haben, siehe vorne) über eine breite Lagune befördert. Im Gegensatz zu unserem ersten Pirogenversuch kommt's diesmal nicht zu einer Havarie: Wir und unser Gepäck erreichen trocken und wohlbehalten das andere Ufer. Dann noch ein paar Meter zu Fuß, und wieder eröffnet sich uns ein Traumstrand; das ideale Motiv für jeden Hochglanzprospekt und das ohne eine Menschenseele!

Natürlich springe ich in die warmen Fluten, um dann wenig später Klaus "tschüs" zu sagen, da dieser den geplanten, viel längeren Rückweg um die Nordspitze der Insel herum scheut und auf direktem Weg zurück möchte.

So stapfe ich allein den langen Strand hinunter, komme durch eine ausgedehnte Dünenlandschaft, gehe über Wiesen, passiere kleine Dörfer und erreiche schließlich die "Straße", die kaum besser als ein normaler Feldweg ist. Forschen Schrittes geht's voran, die zunehmende Rötung meiner Beine gibt mir gewissermaßen die Sporen. Und siehe da: Als ich unseren Bungalow erreiche, ist Klaus noch nicht da. Selbst nach langem Tauchausflug gibt er sich immer noch nicht die Ehre, erscheint dann aber doch irgendwann auf der Bildfläche; schwerbeladen, wie sich herausstellt, denn ein alter Mann hat ihm unterwegs mehrere glasähnliche Edelsteine(?) für 10.000 Fr. verkauft. Über den möglichen Wert der Steine kann auch im "La Crique" niemand genau Auskunft geben.

 Kein Tag ohne Regen, und so prasselt pünktlich zum Tagebuchschreiben und anschließenden wiederum überaus leckeren Abendessen eine Wasserflut nieder, daß man nur staunen kann.

Zum Schluß dann noch ein paar Rechenspiele - die letzten drei Tage wollen wohlkalkuliert sein.

 

Freitag, den 20. April (Ste.-Marie - Tana)

 Ein für den Reiseverlauf schicksalsträchtiger Tag - ohne daß wir etwas davon ahnen, als wir um 7.15 Uhr "La "Crique" und wenig später auch Ste.-Marie verlassen.

Zuerst einmal gibt's das obligatorische Wiedersehen mit einigen unserer Reisebekanntschaften, so wie mit den Österreichern, den Greenhorns, die total frustriert wegen dreier unnötiger Tage des Wartens auf einen Flug nach Ste.-Marie uns bei unserem Abflug entgegenkommen. Dann treffen wir den chinesisch-kanadischen Leidensgenossen von unserem ersten Tag in Tamatave wieder und außerdem noch so manchen "Marco Polo".

Anschließend düsen wir, diesmal mit einer etwas größeren Maschine, zurück nach Tana. Und als würde sich der Bogen unserer Reise schließen, steht unser guter William wie zu Beginn in der Flughafenhalle, darauf wartend, uns (bzw. irgendeinen anderen Traveller) hier in Empfang zu nehmen. Da wir keinen einzigen Franc mehr besitzen, kommt er uns gerade recht; denn auf diese Weise kommen wir zu unseren ersten schwarz getauschten Francs, obwohl der Vorteil gegenüber dem offiziellen Kurs nur unwesentlich ist.

Bei der Gelegenheit lernen wir auch Williams Mutter und sein über eine wackelige Holzleiter zu erreichendes bunt geschmücktes und auf großen Lerneifer hindeutendes Zimmer kennen. Prospekte von deutschen Fremdenverkehrsbüros sowie Informationen der Deutschen Welle sind wie in einem Museum ausgestellt.

 Wie am Tag unserer Ankunft auf Madagaskar zwängen wir uns in einen viel zu vollen Bus, fahren für ein paar Pfennige ins Zentrum von Tana, beziehen unser vorreserviertes Zimmer im "Terminus", und zu unserer Freude finden wir die vor einer Woche hier deponierten Tüten, Taschen und Rucksäcke vollzählig wieder vor.

Doch dann folgt der "Hammer": Bei Air Madagascar teilt man uns ganz cool mit, daß unsere Flugplätze für den Rückflug am Sonntag bereits vergeben seien, unsere "Reconfirmation" komme zu spät. Diese lapidare Auskunft trifft uns wie ein Donnerschlag!

Alternativ wird mir umgehend ein Flug für Montag angeboten, allerdings mit schlechteren Anschlüssen. Wir haben keine Wahl. Das bedeutet dann auch Conni anrufen, Schule benachrichtigen - ein schönes Kuddelmuddel! Daß sich Air Madagascar mit seiner unverständlichen Überbuchung (schließlich hatten wir feste Tickets) offenbar nicht frei von Schuld fühlt an dieser Misere, zeigt sich daran, daß man mir zusätzlich zu den neuen Flugscheinen einen Übernachtungs- und Verpflegungsgutschein fürs - man höre und staune - Hilton Hotel überreicht. Na, wenn schon Desaster, dann wenigstens "de luxe"!

 

Freitag in Tana, heißt immer auch "Zoma". Dies ist ein riesiger Markt, mehr oder weniger auf die ganze Stadt verstreut, auf dem es fast alles zu kaufen gibt. Auffällig die vielen Stände mit Halbedelsteinen, Schmuck usw. William, der wieder auf der Bildfläche erschienen ist, betätigt sich als kundiger Berater.

Und abends natürlich in die Disco. Nachtleben in Tana bedeutet genau wie in Tamatave: gute Musik und (für unseren Geschmack) zu aufdringliche Anmache.

 

 Samstag, den 21. April

 "Est-ce qu'il y a un message ou un collis pour moi?" lautet meine Standardfrage, jedesmal wenn ich die Rezeption unseres Hotels passiere. Ein bedauerndes "non, Monsieur, il n'y a rien pour vous" die Standardantwort.

Was mir irgendwo eh schon klar gewesen ist, wird zur Gewißheit: Von meinen 11.000 Fr. werde ich sicher nichts mehr wiedersehen (siehe vorne), sei's drum. Aber mein verlorengegangenes Tagebuch bin ich nicht so ohne weiteres bereit, kampflos aufzugeben. Also werde ich an das ominöse "Hotel Bed and Breakfast" in Fianar schreiben. Vielleicht hat ja auch Olof, unser früherer schwedischer Reisebegleiter, das Buch an sich genommen...

Meine Haupttätigkeiten heute: sehen, begutachten, handeln, kaufen. Eine enorme Anzahl handwerklich hochwertiger Kunstgegenstände wartet darauf, entlang der "Avenue de l'Indépendence" ihre Käufer zu finden. Herrliche Schachspiele, Stickereien, Instrumente, Armreife, Schmuck, Lederwaren und vieles mehr lachen den Touristen an. Wer könnte da wiederstehen, zumal sich die Reise dem Ende zuneigt?!

Ein eineinhalbminütiger Telefonanruf in Solingen (Conni war nicht erreichbar) bei Klausens Eltern kostet uns stolze 30 DM. Abends treffen wir Axel und Petra wieder, unsere Lufthansabekannten von Ste.-Marie.

 

 Sonntag, den 22. April

 Eigentlich ist ja heute unser Rückflugtag! Aber wie beschrieben, ziehen wir um ins Hilton, begleitet von strahlendem Sonnenschein. Nachdem wir unsere ziemlich luxuriösen Einzelzimmer im 10.Stock bezogen haben, aalen wir uns erstmal ausgiebig im etwas zu kühlen Hotel-Swimming-Pool und lassen uns ein wenig die Sonne auf den Pelz scheinen.

Da wir Vollpension "gebucht" haben, dürfen wir uns selbstverständlich auch das köstliche Mittagsbuffet nicht entgehen lassen. Es geht mit Austern, Hummer, Krabben etc. los, führt über Leberpastete, Auflauf na undsoweiterundsoweiter... Die absolute Völlerei in einem der ärmsten Länder der Erde!

 Anschließend verlangen unsere vollgefressenen Bäuche danach, ein wenig durch die Gegend getragen zu werden. Richtig arbeiten müssen wir, um zum "Rova", dem Königinnen(!)-Palast hoch oben am Berg zu gelangen. Leider herrscht im Innern absolutes Fotografierverbot, so daß wir uns auf einige wenige mit Klausens Kamera heimlich gemachte Aufnahmen beschränken müssen.

Gelohnt hat sich der Aufstieg allemal, da wir auf diese Weise nicht nur eines der wenigen, wirklich sehenswerten Kolossalgebäude auf dieser Insel zu Gesicht bekommen, sondern im Innern der königlichen Gemächer auch noch einen recht detaillierten Anschauungsunterricht in Sachen madegassischer Geschichte erhalten.

Im Anschluß daran nehmen wir unsere Beine in die Hände und statten den Lemuren im Botansichen Garten noch einen Kurzbesuch ab.

 Während ich im Hotel diese meine Zeilen schreibe, läuft im (Farb-)Fernsehen die Fußballbegegnung Bayern München gegen Eintracht Frankfurt fast in voller Länge. Erst im Verlauf des Matches schwant mir, daß es sich um ein älteres Spiel aus der Konserve handeln muß, genau genommen vom 17.3.90, wie ich der Anzeigentafel entnehme.

Das "Buffet Chinois" erwartet uns, wir verspüren zu unserer Verwunderung sogar wieder so etwas wie Hunger.

Eine kleine Enttäuschung zum Ende unseres "Bonus"-Tages: Kasino, Bar und Disco im obersten Stockwerk des Hotels sind um Mitternacht schon geschlossen.

 

 Montag, den 23. April (Rückflug von Tana über Nairobi nach Frankfurt)

 Nun also definitiv unser letzter Tag auf Madagaskar.

Zu Beginn muß ich zu meinem Leidwesen den Preis für unsere gestrigen Schlemmerorgien zahlen: Meine Verdauung hält mich auf Trab. Also heißt es auch, das verführerische Frühstücksbuffet mit angezogener Handbremse anzugehen.

 Alles weitere aber klappt wie am Schnürchen: Bei Air Madagascar bekommen wir dank Axels und Petras Tip ein neues Ticket mit einem Direktflug von Nairobi nach Frankfurt, so daß wir aller Voraussicht nach morgen früh um 5.55 Uhr Ortszeit in Frankfurt sein werden, einige Stunden früher als vorgesehen. Außerdem erhalten wir noch eine Bestätigung darüber, daß uns an dem "herausgeschundenen" Tag keine Schuld trifft. So werden wir wenigstens nicht mit leeren Händen aufkreuzen, wenn's Mittwoch wieder zur Schule geht.

 

Doch noch sind wir in Tana. Die letzten Francs werden verjubelt, eine Tischdecke hier, ein steinernes Ei dort - unsere Gehirne vollführen die reinste Rechenmaschinenakrobatik. Ein letzter Flirt mit den Gewürzmädchen auf der "Indépendence", ein Händedruck dem Händlerpärchen, mit dem sich Marie angefreundet hatte, und dann geht's flott zurück zum Hilton.

 Air Madagascar überschlägt sich förmlich: So erhalten wir sogar noch einen Gratis-Transfer zum Flughafen. Wiedersehen mit Axel und Petra, einem Schweden, den wir in einer Disco kennengelernt hatten,und ein paar anderen Travellern von früheren Begegnungen... Meine beiden Solartaschenrechner, offensichtlich heiß begehrt, kann ich an einem Mineralienstand noch gewinnbringend an den Mann bringen und erhalte dafür ein sehr schönes Steinei sowie einen uneingefaßten Halbedelstein. Danach folgt die übliche Ausreiseprozedur, alles recht umständlich und schweißtreibend.

Doch dann sitzen wir schließlich an sehr bevorzugten Plätzen der Boeing 767 der Air Mauritius, nachdem ich als erster Passagier die Maschine "erstürmt" hatte. Es handelt sich dabei um das reinste Luxusgefährt. Dazu noch die grandiose Aussicht auf karges, zerfurchtes Bergland, Zeugen ungehemmten Raubbaus an den ehemals riesigen Wäldern dieser Insel. Wir überfliegen die Komoren, lassen Sansibar hinter uns und erreichen dann bei Dar-es-Salaam afrikanisches Festland. Und im Gegensatz zum Hinflug können wir diesmal den schneebedeckten Kilimanjaro, umgeben von einem Wolkenmeer, in seiner ganzen Schönheit ausgiebig bewundern.

Warten in Nairobi auf unseren Lufthansaflug nach Frankfurt. Zum ersten Mal darf ich dann das außerordentlich komfortable Airbus-Gefühl erleben. Und das ist schon 'ne Wucht!

 

Schlußakt: Ankunft in Frankfurt pünktlich um sechs Uhr. Alles läuft wie geschmiert. Der Rest ist nur noch Formsache - ein Klacks für "Profis" wie uns: Mit U-Bahn und Bus zu Angelika, dort Klausens R5 wohlbehalten vorgefunden, nachdem am Tag zuvor Angelikas alter Kadett von der gegenüberliegenden Straßenseite weggeklaut worden ist.

Und nach einer Stärkung bei Angelika rauschen wir auf unglaublich guten, geteerten Straßen ohne Panne (!) der Heimat entgegen..

 

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